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Kanzlei Tykwer & Kirsch
Carsten Tykwer

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Landgericht Detmold, 1 O 228/13/ 04.08.2014

Tenor:

Die Klage wird abgewiesen.

Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 Prozent des jeweils beizutreibenden Betrages vorläufig vollstreckbar

 

Die am 11.11.1929 geborene Klägerin nimmt die Beklagte auf Schmerzensgeld und Feststellung wegen eines von ihr am 13.08.2010 erlittenen Unfalls in Anspruch.

Die Beklagte betreibt in B unter der Anschrift D-Straße das Kurheim „T“. In dieses Gebäude ist 1975 ein Personenaufzug der G GmbH eingebaut worden. Am 24.03.1977 hatte die Beklagte mit der G GmbH einen Wartungsvertrag geschlossen, der u.a. die Pflege und Instandhaltung sowie die regelmäßige Sicherheitsüberprüfung beinhaltete. Insoweit wird im Einzelnen auf den in Ablichtung zu den Akten Vertragstext Anlage C3 1 (Bl. 48 d.A.) Bezug genommen. Darüber hinaus wurde der Fahrstuhl einer regelmäßigen TÜV-Kontrolle nach § 15 BetrSichV unterzogen. Die letzte derartige TÜV-Kontrolle vor dem Unfall der Klägerin hatte am 05.10.2009 stattgefunden. Insoweit wird auf die Prüfbescheinigung des TÜV Nord vom 05.10.2009 (Anlage BLD 3; Bl. 52 d.A.) Bezug genommen. Am 01.07.2010 erfolgte der Wartungsdienst durch die Firma G. Insoweit wird auf das von der Beklagten in Ablichtung vorgelegte Besuchsprotokoll Anlage BLD 2 (Bl. 51 d.A.) Bezug genommen. Knapp eineinhalb Monate später, nämlich am 12.08.2010 war eine Reparaturmaßnahme veranlasst, weil sich die Tür des Fahrstuhls nicht schließen ließ. Dieser Defekt wurde durch den Monteur B der Firma G behoben.

Am Morgen des 13.08.2010 wollte die Klägerin mit dem Fahrstuhl zu dem im Kellergeschoss gelegenen Frühstücksraum des Kurheimes fahren. Bei Erreichen des Kellergeschosses und bei Öffnen der Fahrstuhltüren befand sich der Boden der Fahrstuhlkabine 18 cm über dem Geschossniveau. Bei dem Heraustreten aus der Fahrstuhlkabine trat die Klägerin „ins Leere“ und stürzte schwer. Der Umfang der von ihr dabei erlittenen Verletzungen ist zwischen den Parteien im Streit.

Mit Klage vom 15.08.2011 hatte die Klägerin zunächst die G GmbH & Co. KG auf Schmerzensgeldzahlung und Feststellung in Anspruch genommen. Auf das schließlich unter dem Aktenzeichen 9 O 212/11 ergangene abweisende Urteil des Landgerichts Detmold vom 18.12.2012 hatte die Klägerin bei dem Oberlandesgericht Hamm für die Durchführung der Berufung Prozesskostenhilfe beantragt. Dieser Antrag ist dort zurückgewiesen worden.

Die Klägerin behauptet, dass eine Halteungenauigkeit, wie sie ihr am Unfalltag zum Verhängnis geworden sei, bei Aufzugsanlagen dieses Alters zu erwarten sei. Gleichwohl habe die Beklagte schlichtweg nicht alles unternommen, um für eine risikofreie Aufzugsanlage zu sorgen. Die Wartungsfirma habe ihr gegenüber mehrfach eine Modernisierung der Aufzugsanlage vorgeschlagen und insbesondere die Durchführung einer Gefahrenanalyse gefordert. So hätte auch die Zählvorrichtung des Fahrstuhls auf Funktion und Verschleiß überprüft werden müssen. Der Aufzug habe der seit 2003 geltenden BetrSichVO widersprochen. Notwendige Investitionen habe die Beklagte unterlassen. Anlässlich der Wartungsarbeiten hätte von einem Weiterbetrieb der Aufzugsanlage abgeraten werden müssen. Bereits vorher habe es immer wieder Defekte an dem Aufzug gegeben. Dies sei auch Tischgespräch im Frühstücksraum unter den Gästen des Kurheimes gewesen. Nach dem Unfall hätte es die Beklagte leider zu unterbinden gewusst, dass die Klägerin die Polizei ruft.

Aufgrund des Unfalls habe sie erhebliche Verletzungen erlitten, insbesondere eine Beckenringfraktur sowie eine Fraktur des Scham- und Sitzbeines rechts. Es seien mehrere Klinikaufenthalte erforderlich geworden. Im Einzelnen wird auf die Darstellung der Klägerbevollmächtigten in der Klageschrift Bl. 7 ff. d.A. Bezug genommen. Nach wie vor leide sie unter den Folgen des Unfalles. Sie müsse nunmehr mit Einschränkungen leben, die sie vor dem Unfall nicht gehabt habe. Sie ist der Auffassung, dass ihr ein Schmerzensgeld im Bereich von 24.000,00 € zustünde, wobei bei diesem Ansatz ein Mitverschulden in Höhe von 25 % mitberücksichtigt sei. Es sei allein auf ihren eisernen Willen und ihr eisernes Training zurückzuführen, dass sie heute wieder auf den Beinen beweglich sei, auch wenn aufgrund des Unfalls eine Einschränkung in der Beweglichkeit verblieben sei.

Die Klägerin beantragt,

1.

die Beklagte zu verurteilen, an sie ein angemessenes Schmerzensgeld aufgrund des Unfalls vom 13.08.2010 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 01.02.2011 zu zahlen;

2.

festzustellen, dass die Beklagte ihr alle materiellen und immateriellen Schäden aus dem Unfall auch künftig zu erstatten hat, soweit er nicht auf Sozialversicherungsträger übergegangen ist;

3.

die Beklagten zu verurteilen, sie von außergerichtlichen Kosten in Höhe von 775,64 € freizustellen.

Die Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Sie behauptet, alles getan zu haben, um einen sicheren Betrieb der Fahrstuhlanlage zu gewährleisten. Wenn es in der Vergangenheit Probleme gegeben hätte, seien diese niemals mit einer Halteungenauigkeit verbunden gewesen. Vielmehr hätten die bisherigen Fehlfunktionen in einem Nichtschließen der Fahrstuhltür bestanden. Dieser Defekt sei auch im Laufe des 12.08.2010, also dem Tag vor dem Unfall, aufgetreten. Die Fahrstuhltür habe sich nicht schließen lassen. Der Boden sei bündig mit dem Geschossniveau abgeschlossen gewesen. Der Monteur B habe sodann noch einige Probefahrten durchgeführt, die unauffällig verlaufen seien. Niveauunterschiede seien ohnehin wahrnehmbar, da sich in Fahrstuhlkabine und auf den einzelnen Geschossen unterschiedliche Bodenbeläge befänden. Eine am 02.09.2010 vorgenommene Wartung der Anlage durch die Firma G habe nicht zu der Feststellung von Mängeln geführt. Lediglich der Stempel der Anlage habe verfüllt werden müssen. Auch eine Zwischenprüfung des TÜV am 15.10.2010 habe nicht zu der Feststellung von Mängeln geführt. Der Aufzug habe vielmehr weiterbetrieben werden dürfen. Insoweit wird auf das Prüfprotokoll des TÜV Nord vom 15.10.2010 (Anlage BLD 4; Bl. 53 d.A.) Bezug genommen. Soweit die Klägerin vortrage, es hätte bereits eine Gefährdungsbeurteilung vorgenommen werden müssen, ist eine solche nur im Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zu fordern. Tatsächlich habe die Beklagte gleichwohl am 02.09.2013 eine solche Gefährdungsbeurteilung durch den Sachverständigen Dipl.-Ing. C2 des TÜV Nord durchführen lassen mit dem Ergebnis, dass keine Einwendungen gegen den Weiterbetrieb der Anlage bestünden, insbesondere Maßnahmen hinsichtlich einer Anhaltegenauigkeit nicht erforderlich seien. Im Einzelnen wird insoweit auf die Prüfliste des TÜV Nord (Anlage BLD 6; Bl. 85 d.A.) Bezug genommen.

Hinsichtlich des weiteren Sach- und Streitstandes wird auf die zu den Akten gereichten Schriftsätze einschließlich der beigefügten Anlagen sowie auf den Inhalt der beigezogen Akten Landgericht Detmold 9 O 212/11 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe:

Die Klage ist nicht begründet. Der Klägerin steht weder der von ihr nach §§ 823, 253 BGB geltend gemachte Schmerzensgeldanspruch zu noch ist ihr Feststellungsbegehren begründet.

Aufgrund des Vorbringens der Parteien kann nicht festgestellt werden, dass die Beklagte eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht trifft, die sich sodann in dem Unfall und den Verletzungsfolgen der Klägerin realisiert hätte. Derjenige, auf dessen Grundstück oder in dessen Haus eine Gefahrenquelle besteht, und der zugleich Haus und Grundstück einem - wenn auch nur beschränkten - Besucherkreis zugänglich macht, ist dafür verantwortlich, dass diese Gefahrenquelle beseitigt wird oder aber zumindest so abgesichert wird, dass niemand zu Schaden kommt. Die Anforderungen, die dabei an den Verkehrssicherungspflichtigen zu stellen sind, sind jedoch vom Umfang her nicht unbegrenzt. So muss er keine Absicherung gegen jegliche auch nur entfernt denkbare Risiken treffen. Der Maßstab richtet sich vielmehr danach, welche Sicherheit das infrage kommende Publikum unter Berücksichtigung der technischen Gegebenheiten erwarten kann und darf.

Für die in das Kurheim der Beklagten eingebaute Aufzugsanlage ist deshalb zu fordern, dass diese sich in einem betriebssicheren Zustand befindet und den Anforderungen an die allgemeine Verkehrssicherung entspricht. Insbesondere ist im vorliegenden Fall in Betracht zu ziehen, dass es sich bei den Gästen der Beklagten im Regelfall um ältere und ggfls. auch gebrechliche Personen handelt, also eine Personengruppe, die eines besonderen Schutzes bedarf.

Unter Anlegung dieses (erhöhten) Maßstabes lässt sich im vorliegenden Fall eine Verletzung der Verkehrssicherungspflicht durch die Beklagte gleichwohl nicht feststellen. Unstreitig hat die Beklagte aufgrund des von ihr mit der G GmbH & Co. KG geschlossenen Wartungsvertrages die Aufzugsanlage regelmäßig warten lassen. Darüber hinaus hat sie unstreitig die turnusmäßigen TÜV-Prüfungen vornehmen lassen. Ebenso ist außer Streit, dass die Beklagte auftretene Mängel an der Anlage jeweils hat reparieren lassen. Im Kern geht es deshalb allein um die Frage, ob die am Unfalltag aufgetretene massive Halteungenauigkeit angesichts des Zustands und des Alters der Aufzuganlage zu erwarten war und diese sodann der Beklagten zuzurechnen wäre. Dass eine derartige Halteungenauigkeit vorher schon einmal oder sogar mehrfach aufgetreten wäre, vermag die Klägerin nicht darzulegen. Ihr Vortrag geht dahin, dass aufgrund der technischen Rahmenbedingungen damit gerechnet werden musste. Dies ist jedoch ein Umstand, den sich die Beklagte nicht zurechnen lassen muss. Der Betreiber einer alten Aufzugsanlage ist im Rahmen seiner Verkehrssicherungspflicht nicht verpflichtet, die Anlage mit modernen Warnvorrichtungen und dem neueren technischen Standard auszustatten, solange die Anlage noch den technischen Anforderungen des Errichtungszeitraums entspricht und nach neueren Vorschriften nicht nachgerüstet oder stillgelegt werden muss. Die Verkehrssicherheit fordert nur, dass die nach den technischen Möglichkeiten erreichbare Sicherheit geboten wird, wobei auf den Zeitpunkt der Errichtung der Anlage abzustellen ist. Für den Fall von altersbedingten Halteungenauigkeiten der Aufzugsanlage ist ein Warnhinweis für den Fall einer technischen Störung nur dann erforderlich, wenn eine solche Störung öfter auftritt (OLG Frankfurt, Beschluss vom 24.01.2013, 3 U 169/12).

Soweit die Klägerin darauf abhebt, dass die Beklagte entgegen der Vorgaben der BetrSichVO keine Gefährdungsbeurteilung hat vornehmen lassen, bestehen bereits Zweifel daran, ob die Klägerin überhaupt in den Schutzbereich der entsprechenden Vorschrift einzubeziehen ist und insoweit überhaupt der aus der Verkehrssicherungspflicht folgende Pflichtenkreis der Beklagten berührt ist. Dies kann letzten Endes dahinstehen, weil die Klägerin nicht substantiiert vorzutragen vermocht hat, dass aufgrund einer derartigen Gefährdungsbeurteilung ein erhöhtes oder auch nur einfaches Risiko einer Halteungenauigkeit hätte aufgedeckt werden können. Dies gilt erst recht angesichts des Umstandes, dass die Beklagte eine derartige Gefährdungsbeurteilung zwischenzeitlich während des laufenden Prozesses hat durchführen lassen, ohne dass sich aus dem entsprechenden Prüfprotokoll die von der Klägerin erwartete Schlussfolgerung herleiten ließe. Insoweit hätte es der Klägerin oblägen, noch weiter vorzutragen. Ihr Hinweis auf die Erkenntnisse im Vorprozess reicht insoweit nicht aus. Ungeachtet davon ist nicht zu erkennen, welche anderweitigen Konsequenzen für den Pflichtenkreis der Beklagten hätten entstehen können, da die jetzt vorgenommene und von der Klägerin als maßgeblich angesehene Gefährdungsbeurteilung aufgrund des - soweit erkennbar - unveränderten Zustands der Aufzugsanlage erfolgt ist. Im Ergebnis trifft die Beklagte danach aufgrund des durch die erhebliche Halteungenauigkeit hervorgerufenen Unfalls keine Verantwortung. Die Kammer übersieht dabei keinesfalls, dass dieses Ergebnis für die Klägerin, die bereits auch einen Vorprozess gegen die Firma G angestrengt hatte, mehr als unbefriedigend sein muss. Indessen geht es hier allein um die Frage, ob sich die Beklagte die der Klägerin bedauerlicherweise entstandenen körperlichen Schäden (wobei auch auf der Hand liegt, dass die Verletzungen auch einen ganz anderen Fortgang hätten nehmen können) zurechnen lassen muss. Das ist nach den hier dargelegten Überlegungen nicht der Fall.

Es tritt hinzu, dass, selbst wenn die Beklagte für den Unfall und seine Folgen verantwortlich wäre, die Klägerin sich ein ganz erhebliches Mitverschulden (§ 254 BGB) zurechnen lassen müsste. Insoweit müsste zum Tragen kommen, dass die Klägerin die Halteungenauigkeit bei Ausübung einer auch nur geringen Sorgfalt hätte bemerken können. Von der Rechtsprechung wird es als Pflicht eines jeden Fahrstuhlbenutzers angesehen, bei Verlassen des Fahrstuhls darauf zu achten, ob dieser korrekt, insbesondere bündig mit dem Stockwerksboden angehalten hat (OLG Frankfurt, Urteil vom 17.10.2000, 14 U 131/99). Hier verhielt es sich so, dass eine Halteungenauigkeit von 18 cm eingetreten war, mithin einer deutlichen Differenz, die ohne Zweifel auch für einen alten Menschen eine entsprechende Stufenbildung hätte auffallen müssen. Die Klägerin selbst, die sich im Termin zur mündlichen Verhandlung beeindruckend geistig wendig gezeigt hat, hat im Termin ausgeführt, dass sie nicht auf den Boden geachtet hatte. Bereits damit hat sie ihrer vorstehend aufgezeigte Obliegenheit zuwidergehandelt. Aber auch aufgrund des Umstandes, dass sie auf die Leuchtanzeige oberhalb der Fahrstuhltür geachtet habe, hätte sie erkennen können, dass die Fahrstuhlkabine nicht bündig mit der Geschosseinteilung abschließt, vielmehr nicht ganz unten auf Geschossebene angelangt ist. Im Ergebnis wäre nach Einschätzung der Kammer, selbst bei Zuerkennung einer Verantwortlichkeit der Beklagten, ein derartig hohes Mitverschulden der Klägerin anzunehmen, dass jede Haftung der Beklagten entfiele.

Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 91 ZPO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt auch § 709 ZPO.